Montag, 26. November 2018

Tuberkulosegeister vs. YouTuberkuloser


Alle Rechte an Fotos und Grafiken bei © 20th Century Fox


Heilstätten (Deutschland 2018, Regie: Michael David Pate)

Deutsche YouTuber halten in den Heilstätten, einem finsteren Ort in der Nähe von Berlin, eine Challenge ab, in der sie u.a. dem vermeintlichen Spuk in den Krankenhausruinen auf den Grund gehen wollen. Man entscheidet sich, dort 24 Stunden zu verbringen. Wer, vor Angst, als Erster ein Bengalofeuer zündet, hat verloren und muss, ernsthaft, einen Monat lang das essen, was die YouTuber-Gemeinde wünscht. Ja, was der Jugend halt so Spaß macht. Friss, oder stirb vor Angst. 

Mit Nachtsicht- und Wärmekameras ausgerüstet, machen sich die Jugendlichen auf den Weg in die düsteren Hallen des heruntergekommenen Gebäudekomplexes, in dem zur Nazizeit furchtbare Experimente an Tuberkulosepatienten durchgeführt worden sind. Die Ausgangssituation dieses im Found-Footage-Stil (Wackelkamera) gedrehten deutschen Horrofilms ist ähnlich wie die im Jahr 2011 erschienenen GRAVE ENCOUNTERS. Dort ist es ein Fernsehteam, das sich über Nacht in eine verlassene Psychiatrieklinik einsperren lässt, um den Gerüchten über ungeklärte paranormale Phänomene nachzugehen. Natürlich gehen hier wie dort tatsächlich böse Gestalten um. Nach ersten schrecklichen Visionen geben die ersten noch im siebten Klickhimmel schwebenden YouTuber recht bald den Löffel ab. Ein Entkommen scheint unmöglich, das übliche Zehn-kleine-Negerlein-Spiel scheint seinen Anfang zu nehmen. 

Gegenüber seinem Film KARTOFFELSALAT – NICHT FRAGEN! (2015) hat sich Regisseur Michael David Pate rasant gesteigert. Doch das ist keine große Kunst. Ist KARTOFFELSALAT doch eher ein Kandidat für sämtliche Goldenen Himbeeren und Ed-Wood-Gedächtnismünzen dieser Kinowelt. Bei der Internetplattform IMDb erhielt er eine Durchschnittswertung von 1,3 von 10! HEILSTÄTTEN bringt es dort immerhin auf den Wert von 4,3. Dieser deutsche Genrebeitrag ist ein weiterer netter Versuch, der aber an die Qualität des vergleichbaren, ebenfalls nicht überragenden GRAVE ENCOUNTERS nicht ganz heranreicht. Trotz eines ganz ordentlichen Drehbuchs mit einem moralischen Twist am Ende verlangt der Film vom Zuschauer doch eine Menge Geduld und Wohlwollen. 

Die am Anfang besonders nervenden Darsteller, die ständig „Alder“ und „Digga“ dahernuscheln und eine Hektik und Aufgeregtheit verbreiten, die eigentlich nur noch von den Werbespots im Kinderkanal getoppt wird, machen einem den Einstieg schwer. Aber wer mal ins echte YouTube hineinschaut und entsprechende Kanäle von unter 20-Jährigen begutachtet, wird feststellen, dass die Realität hier nicht weit vom Filmgeschehen abweicht. Das anfänglich hyperaktive Generve kann man dem Film also nicht wirklich vorwerfen. 

Bei der Inszenierung des Geschehens in den spukenden Heilstätten jedoch wäre mehr möglich gewesen. Der übertriebene Einsatz der Wackelkameras in Dunkelheit macht es bisweilen anstrengend, die Ereignisse zu überblicken. Man weiß manchmal nicht genau, wer gerade in welches Loch gefallen ist und wer sich grade nur den Fuß verknickst oder den Hals gebrochen hat. Hier wünschte man sich, dass es auch beim Regisseur etwas häufiger „klick“ gemacht hätte. Die statischen Kameras, die ja von den YouTubern auch aufgebaut wurden, hätte man noch geschickter einbeziehen können. Hier und da ein Tempowechsel hätte dem Film gutgetan, ebenso etwas mehr (ruhige) Atmosphäre statt Aktion, ein kreatives Spiel mit Vorder- und Hintergrund etc. 

Wie viele Low-Budget-Horrorfilme krankt auch dieser an der fast nicht vorhandenen Figurenentwicklung. Es gibt niemand, mit dem man sich identifiziert, also auch niemand, mit dem man mitzittert. Im Gegenteil, so viel Dummheit, Oberflächlichkeit, Verlogenheit und das Gieren nach Klickzahlen, das schreit nahezu nach Bestrafung. Wenn einem das Schicksal der handelnden Figuren schon egal ist, sollte wenigstens etwas fürs Auge geboten werden. Gruselige Szenen, unheimliche Geister, böse Fallen. Doch auch in dieser Beziehung ist HEILSTÄTTEN allenfalls Durchschnitt, und man denkt ständig daran, was in dieser tollen Location noch möglich gewesen wäre. 

Die zum Teil ganz ordentlichen Darstellerleistungen und die wirklich Angst einflößende und Grauen ausstrahlende Location sorgen dafür, dass der Film dennoch kein Reinfall ist. Zum Cast gehören u.a. Nilam Farooq (SOKO LEIPZIG, MEIN BLIND DATE MIT DEM LEBEN) und Sonja Gerhardt (JACK THE RIPPER – EINE FRAU JAGT EINEN MÖRDER, KU'DAMM 56). Und sympathisch, also richtig sympathisch ist die medienkritische Botschaft von HEILSTÄTTEN.

Wer Filme wie BLAIR WITCH PROJECT (1999) oder GRAVE ENCOUNTERS liebt, dürfte auch von HEILSTÄTTEN nicht enttäuscht werden. Er bleibt, wenn man sich drauf einlässt, trotz flacher Figurenzeichnung, bis zum Ende recht spannend. Von meiner Meinung nach wirklich guten Found-Footage-Filmen wie TROLLHUNTER (2010) oder REC (2007) ist er jedoch noch weit entfernt. Dem schwachbrüstigen deutschen Genrefilm haucht dieser Kampf zwischen Tuberkulosegeistern und YouTuberkulosern (aua!) zwar keine frische Luft ein. Doch der Fan deutscher Filmkunst freut sich ja schon über jeden Versuch, der zeigt, dass einheimische Genreproduktionen durchaus mit denen anderer Länder mithalten können. Und sei es nur mit den durchschnittlichen. 

Bilder, die im Gedächtnis bleiben: blutüberströmte Frau in Badewanne // appe Nase // Motte aus dem Mund

Bewertung: (5/10)

Montag, 21. November 2016

Neoexpressionistischer, phantastischer deutscher Genrefilm


Alle Rechte für Fotos und Grafiken bei © KOCH MEDIA


Der Nachtmahr (Deutschland 2015, Regie: AKIZ)

Der Nachtmahr ist einer von diesen deutschen Filmen, die einen runterziehen und verzweifeln lassen. Einer von den wenigen, die einem immer wieder verdeutlichen, wie es um den zeitgenössischen deutschen Film bestellt ist. Und um wie viel besser es sein könnte. Belanglose Filme der „Schweigerhöfers“ und Co. beherrschen die hiesige Kinolandschaft, flache Elaborate, die aus kommerziellen Erwägungen ohne Message und besonderen Anspruch lediglich der Unterhaltung dienen und den Massengeschmack bedienen. Selbst wenn sie anspruchsvoll sein wollen, wie „Honig im Kopf“ (Deutschland 2014, Regie: Til Schweiger) und andere humoristisch aufbereitete „Problemfilmchen“, kommt nichts anderes dabei heraus als übelriechende Leinwandgülle mit einem Erinnerungsverfallsdatum von wenigen Stunden. „Honig im Kopf“ ist darüber hinaus ein Tritt in den Allerwertesten von allen Menschen, die mit echten Alzheimerkranken zu tun haben. Denn die Erkrankten geben eben nicht mit jedem Satz wahnsinnig lustige und immer passende Pointen von sich, und deren Flatulenzen sind kein Grund zum Schmunzeln, sondern stinken schnell real, verbreiten den üblen Beigeschmack von Realität, der im komödiantischen Heinz-Rühmann-Gedächtniskino à la Schweiger, Schweighöfer und Co. einfach weggelächelt wird.

Filme wie DER NACHTMAHR hingegen fristen ein Schattendasein. Obwohl sie mit geringen finanziellen Mitteln bestes deutsches Genrekino auf die dämonische Leinwand zaubern, ganz in der Tradition des guten deutschen Horror- und phantastischen Films. Der zeitgenössische deutsche Genre- und Horrorfilm müsste sich nicht neben den genialen Werken aktueller französischer und besonders spanischer Herkunft verstecken, könnte mit einem ganz eigenen Stil gleichberechtigt bestehen. Mit Schwarzer Romantik und Weimarer Kino, hier besonders dem expressionistischen Film, hatte das deutsche Kino doch die besten Voraussetzungen. Steilvorlagen, an die DER NACHTMAHR wunderbar anknüpft.

Der Inhalt des Films ist dabei gar nicht mal das Entscheidende, sondern Stilistik und Erzählweise, die gleichzeitig modern und im Sinne deutscher Filmgeschichte traditionell daherkommen. Es geht um die 17-jährige Abiturientin Tina, die nach einer ausschweifenden Party in der Küche ein vor dem Kühlschrank kauerndes Monster sieht, das ihr einen Riesenschrecken einjagt. Nur sie kann es offenbar sehen, ihre Eltern glauben ihr nicht. Zunächst möchte sie diese "Visionen" loswerden, doch mit zunehmender Filmdauer ändert sich die Einstellung zu dem harmlosen Wesen. Es entpuppt sich als eine Art Doppelgänger. Wenn sich das Monster verletzt, blutet auch Tina.

Schon mit dieser Doppelgängerthematik bewegt sich AKIZ (Achim Bornhak) ganz in der Tradition des deutschen phantastischen Films (DER ANDERE, DER STUDENT VON PRAG, SCHATTEN - EINE NÄCHTLICHE HALLUZINATION etc.). Oberflächlich erscheint DER NACHTMAHR als einfache Coming-of-Age-Geschichte mit leicht zu durchschauender Psychologie. Das Monster verkörpert all das, wovor die zunehmend auf Außenwirkung schielende, oft geistig und körperlich anorektische und feierwütige (was für ein Widerspruch!) Facebook- und Selfie-verliebte Jugend am meisten Angst hat: Häßlichkeit, Fressanfälle, Trägheit, schlechte „Publicity“ etc.

Die Geschichte wird von AKIZ jedoch so genial erzählt, mit einem Schuss bestem deutschen Expressionismus, einer Prise Lynch und einem Schuss E.T. auf Drogen, dass es eine visuelle und akustische Wonne ist. Der häufige Einsatz der Weitwinkelkamera, vor allem im Elternhaus, zeigt uns mit seinen schrägen Linien und verzerrten Perspektiven, ähnlich wie in DAS CABINET DES DR. CALIGARI übrigens, eine aus den Fugen geratene oder geratende Welt der Protagonistin, zeigt die Bilder als Phantasmagorien eines Subjekts und untermauert auch filmästhetisch bzw. stilistisch eine mögliche expressionistische Lesart. Wie in CALIGARI werden im NACHTMAHR Unsicherhieten, Konflikte, Störungen der menschlichen Seele, hier: einer Pubertierenden, nach außen gekehrt, nehmen als Monster Gestalt an. Das erinnert ein wenig an Cronenbergs DIE BRUT, in dem sich aus Aggression geborene Kindermonster als Reaktion auf einen Scheidungskonflikt und Eifersucht in der Realität manifestieren. Dennoch, so leicht macht es AKIZ den Rezensenten nicht. Durch eine Art „unzuverlässiges Erzählen“ wird der rein psychologische Interpretationsansatz in dem Moment ad absurdum geführt, in dem andere Menschen das Monster auch sehen können. Spätestens hier und auch am Ende des Films lässt David Lynch ganz herzlich grüßen.

Genremäßig lässt sich DER NACHTMAHR schwer einordnen. Als Monsterfilm gehört er auch zum übergeordneten Genre des Horrorfilms. Doch wer mit den Erwartungen eines angst- und blutgeilen Genre-Aficionados an den Film herangeht, wird enttäuscht werden. Am besten trifft meiner Ansicht nach die Bezeichnung (neo)expressionistischer phantastischer Film. Und ähnlich wie bei CALIGARI fragt man sich auch hier am Ende, was man da eigentlich gesehen hat. Aber das ist kein Nachteil. Wie in der Kunst allgemein steigt mit der Klarheit des Gesagten und Gezeigten die Deutlichkeit der Aussage. Und damit die Banalität.

Noch bevor der Film beginnt, stehen einige Hinweise auf der schwarzen Leinwand. Vor blinkenden Lichtern, isochronischen Tönen und binauralen Frequenzen wird gewarnt, die zu gesundheitlichen Problemen und epileptischen Anfällen führen können. Ein durchaus berechtigter Hinweis. Etwas wurde allerdings vergessen, dort hätte noch Folgendes stehen sollen: „Zuschauer könnten auf den Geschmack von wahrhaftigem deutschen Kino kommen. Bisher wertgeschätzte Superhelden- und kommerzielle Hollywood-Produktionen mit taktischer Dramaturgie und CGI-Einheitsbrei ebenso wie deutsche Belanglos-Komödien und historisch verfälschende Zweite-Weltkriegs-Dramen könnten ihnen nach dem Schauen zunehmend belanglos erscheinen.“ Fack, ju! Das ist deutsches Genre-Kino!

Bilder, die im Gedächtnis bleiben: Nachtmahr im Badezimmer // Nachtmahr nähert sich der schlafenden Tina // Nachtmahr und Tina im Auto // Nachtmahr vor Kühlschrank

Bewertung: (10/10)

Montag, 28. September 2015

Ein Novum in der Geschichte des Zombiefilms


Maggie“ (OT: Maggie, USA 2015, Regie: Henry Hobson)

Kritik: Der Zombiefilm, das einst inkriminierte Subgenre des Horrorfilms, ist erwachsen und massentauglich geworden. Seit 2010 flimmert die überaus erfolgreiche und gut gemachte Serie „The Walking Dead“ bereits in mehreren Staffeln über die Fernsehbildschirme. Obwohl noch nicht beendet, tritt bereits ihr Nachfolger „Fear the Walking Dead“ in deren Fußstapfen. Endgültig Einzug ins Mainstreamkino fand das Zombiegenre mit „World War Z“ (2013). Ein Film im Blockbusterformat mit dem Weltstar Brad Pitt in der Hauptrolle. In „Maggie“ ist es eine weitere Hollywood-Größe, Arnold Schwarzenegger, die den Zombiefilm mit ihrer Anwesenheit adelt. Allein diese beiden Werke zeigen das große Potenzial des Untoten-Genres. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. „World War Z“ ist actionlastig, spielt in mehreren Ländern auf dem gesamten Globus und erzählt seine Geschichte direkt und schnörkellos. Ohne die für den Zombiefilm typischen klaustrophobischen Momente zu vernachlässigen, findet der Film doch vor allem eindrückliche Bilder für den Untergang der gesellschaftlichen Ordnung und den Zusammenbruch der Staaten. Dabei kommen besonders die Einstellungsgrößen Panorama und Totale zum Einsatz. Beängstigende Massenszenen, wie die Belagerung der Stadtmauern Jerusalems durch die Heerscharen von Untoten, brennen sich ins Gedächtnis ein. 

„Maggie“ hingegen ist anders, ein ruhiger Vertreter seiner Zunft, mehr Drama denn Horrorfilm. Weltpolitik spielt hier keine Rolle, alles spielt sich im Mikrokosmos einer Gemeinde im amerikanischen Mittelwesten ab. Wer aufgrund des Namens Schwarzenegger ein Zombiegemetzel erwartet, wird enttäuscht werden. Die typische Zombiefilm-Ikonographie findet sich nur im Aussehen der wenigen „lebenden Leichen“, die es zu sehen gibt. Sich an menschlichen Innereien delektierende Untote gibt es hier nicht. Die Zombies schlurfen wie bei Romero eher langsam durch die Gegend und sind keine akute Bedrohung für die menschliche Zivilisation. Denn wer sich infiziert hat, weil er gebissen wurde, verwandelt sich sehr langsam. Das kann schon mal mehrere Wochen dauern. Erst verfault das Fleisch, dann ändert sich die Augenfarbe und erst zum Schluss ändern sich auch die kulinarischen Präferenzen. Mitmenschen riechen auf einmal nach Essen, nach leckerem Essen. Jetzt erst ist die Verwandlung komplett. Infizierte kommen in Quarantäne, wo sie mittels Todesspritze eines, so wird angedeutet, qualvollen Todes sterben. 

Der gesamte dramaturgische Aufbau von „Maggie“ basiert auf dieser langsamen Verwandlung. Was Jekyll-und-Hyde-Filme oder Werwolf-Klassiker und andere Vertreter des Transformationshorrors in wenigen Sekunden, allenfalls Minuten abhandeln, gereicht „Maggie“ für die gesamte Lauflänge. Wie die Transformation von Maggie (Abigail Breslin) erzählerisch und visuell dargestellt wird, ist ein besonderes Highlight dieses Films. Weil die Zombies, lange bevor sie gefährlich werden, identifizierbar sind, stellen sie, wie gesagt, keine wirkliche Bedrohung für die Menschheit dar. Die eigentlichen Dramen spielen sich in den Familien ab, denen nicht viel Zeit bleibt, sich von kranken Mitgliedern zu verabschieden. So erfährt auch Wade (Arnold Schwarzenegger) eines Tages, dass seine Tochter Maggie gebissen wurde und sich angesteckt hat. Es bleiben maximal acht Wochen, dann wird sie sich, so denn kein Wunder geschieht, verwandeln. 

„Maggie“ erzählt die Geschichte eines Abschieds, und es geht darum, wie Familie, Freunde und Gesellschaft mit einer ansteckenden Krankheit und dem Thema Tod umgehen. Das Gruselmoment und die Bedrohung, die von Zombies ausgeht, steigern die Spannung. Wie verbringen Vater und Tochter die verbleibende Zeit miteinander, wann ist es Zeit loszulassen, wann wird sich die Tochter in einen Zombie verwandeln und zur Bedrohung werden? Wird Wade die Kraft aufbringen, seinen Sonnenschein früh genug zu erlösen, und wann ist der richtige Zeitpunkt? Diese Fragen tragen den ganzen Film, und es ist vor allem den darstellerischen Leistungen von Breslin und Schwarzenegger, der selten so eindringlich eine Charakterolle gespielt hat, aber auch einem hervorragenden Drehbuch zu verdanken, dass „Maggie“ nie langweilig wird. Die letzte Sequenz und das Finale des Films sind so beeindruckend, dass hier nicht mehr verraten werden soll. Außer, dass es eines der beeindruckendsten und intensivsten Plädoyers für die Macht der Liebe ist, das ich seit Langem in einem Horrorfilm gesehen habe.

Im Gegensatz zu „World War Z“ erzählt „Maggie“ seine Geschichte hauptsächlich in den Kameraeinstellungen Halbtotale, Halbnah, Nah und Groß. Die Kamera sucht ständig die Nähe zu den Personen und vermittelt so die tiefen Gefühle, die hier im Spiel sind. Man ist als Zuschauer ganz nah an den Darstellern und fühlt mit ihnen, da der Regisseur der Figurenentwicklung große Aufmerksamkeit zukommen ließ. Das Verdienst von „Maggie“ ist es, das Augenmerk auf den Prozess der Transformation, der Verwandlung zum Zombie zu legen. Ein Aspekt, dem in den meisten anderen Untoten-Filmen kaum Beachtung geschenkt wird. Das ist, zumindest in der Konsequenz, ein Novum in der Geschichte des Zombiefilms. Alles in allem ist „Maggie“ ein gelungener „Arthaus“-Zombiefilm mit einem überzeugenden Arni in einer Charakterrolle. Ein Erlebnis. Und, mein Geheimtipp: Wem „Maggie“ gefallen hat, der sollte sich durchaus auch mal „Extinction“ (2015) von Miguel Angel Vivas anschauen (nicht zu verwechseln mit dem deutschen Zombiefilm „Extinction – The G.M.O. Chronicles“). Der ist zwar etwas blutiger, bietet etwas zahlreichere, zu blinden Eiswesen mutierte Zombies, ist aber von der Figurenzeichnung ähnlich gut und „gefühlig“ wie „Maggie“ und behandelt darüber hinaus ebenfalls die Vater-Tochter-Thematik.

Bilder, die im Gedächtnis bleiben: die fast völlig verwandelte Maggie nähert sich ihrem schlafenden Vater 

Bewertung: (7/10)

Montag, 23. März 2015

Höhlenhorror à la "The Descent"


Katakomben (OT: As Above, So Below, USA 2014, Regie: John Erick Dowdle)

Kritik: In der Tiefe, im Erdinnern, lauert nichts Gutes, das weiß man mittlerweile. In „The Descent“ (2005) von Regisseur Neil Marshall ist es eine Gruppe von jungen Frauen, die frohen Mutes eine Höhlenexpedition unternimmt. Als wegen eines einstürzenden Ganges der Rückweg nicht mehr möglich ist, suchen die sechs Freundinnen nach einem zweiten Ausgang. Diese Suche konfrontiert sie mit (Ur-)Ängsten, Paranoia, Ungeschicklichkeiten, gegenseitigem Misstrauen und den menschenähnlichen Crawlern, blinden Wesen, die sich in der Dunkelheit mittels Schall orientieren und nichts anderes im Sinne haben, als das überirdische Frischfleisch, das in ihre Sphären eingedrungen ist, zu verspeisen. Neil Marshall transportiert mit seinen Bildern die Gefühle, die mit Dunkelheit, Eingeschlossensein und Enge einhergehen, auf gekonnte Weise. Schon aufgrund der evozierten klaustrophobischen Atmosphäre lohnt es sich, „The Descent“ anzuschauen. 

„Katakomben“ von John Erick Dowdle funktioniert ähnlich. Ein Expeditionsteam, dem, natürlich, ebenfalls der Rückweg versperrt ist, dringt immer tiefer in die Katakomben unter Paris ins Erdinnere vor. Angeführt wird die Gruppe von der jungen Archäologie-Professorin Scarlett Marlowe (Perdita Weeks), die wie besessen auf der Suche nach dem Stein der Weisen ist. 

So besessen, dass sich der Verstand schon mal ausklinkt, wie der Zuschauer im Prolog, der im Iran spielt, sehen kann. Und damit wären wir schon bei einem Problem des Films: der etwas unglaubwürdigen und auch unterentwickelten Figurenzeichnung. Der optischen Mittzwanzigern werden Kampfkunst und diverse Doktortitel angedichtet. Einer ihrer ebenfalls sehr jungen Kollegen ist imstande, jede gefundene Inschrift stante pede zu übersetzen. Als Team sind sie unschlagbar. Die Figuren reagieren eindimensional und unlogisch, was besonders deutlich wird, als sie auf die ersten Anzeichen des Bösen treffen. Mitten auf ihrem Weg begegnen sie einem Telefon. Scarlett nimmt den Hörer und spricht mit ihrem Vater, von dem sie die wissenschaftliche Passion geerbt hat. Doch der hat sich vor einiger Zeit erhängt und weilt nicht mehr unter den Lebenden! Auch die Begegnung mit einem alten Freund der Katakomben-Guides, der seit Jahren als verschollen galt und sich zombiehaft bewegt und komisch spricht, ringt den Mitgliedern des Teams keinerlei länger währende Diskussionen ab. Schön, dass du wieder da bist! Die erschreckend blass bleibenden Figuren erinnern eher an die Charaktere eines Videospiels, ebenso das Erzähltempo, mit dem der Regisseur seine Figuren durch alle Levels hetzt. Die eindringliche Darstellung einer klaustrophobischen Atmosphäre gehört zu den Stärken des Films. Doch auch hier schöpft Dowdle das Potenzial der Geschichte nicht aus. Kaum irgendwo eingeschlossen, hat die an Lara Croft erinnernde Professorin schon das Rätsel gelöst, den einzigen Ausweg aus der Misere gefunden. Sehr schnell lernt der Betrachter so, dass man sich um die Figuren in ihrer Ausweglosigkeit keine großen Gedanken machen muss. Das nächste Level wartet schon. Doch schon halb versagt hat ein Horrorfilm, dem es nicht gelingt, den Zuschauer für seine Figuren einzunehmen. Man schaut zu und findet das alles sehr gruselig. Aber mit den Charakteren zittert man nicht mit. Wie, noch einmal: in einem Videospiel geht es nur darum, das Rätsel zu lösen, das den Ausweg weist. Je weiter die Protagonisten auf diese Art ins Erdinnere vordringen, umso näher kommen sie buchstäblich der Hölle. Eine Inschrift verkündet es ihnen sogar, doch sie befinden sich in einer Sackgasse, müssen den Weg nehmen. 

Hier begegnen sie in Visionen den Sünden der eigenen Vergangenheit ebenso wie höllischen Wesen, die es auf sie abgesehen haben. Durch die Figur der Heldin, die alchemistische Thematik, das Höhlensetting und die Höllen-Begegnungen wirkt „Katakomben“ wie ein Hybrid aus Indiana-Jones-Filmen, „The Descent“ und „Event Horizon“ mit einer Prise „Tomb Raider“. Doch als Abenteuerfilm, der sich um den Stein der Weisen und die alchemistische Thematik dreht, reicht „Katakomben“ nicht an Indiana Jones heran. Die klaustrophobische Atmosphäre ist in „The Descent“ noch intensiver erlebbar, und die Höllenvisionen sind in „Event Horizon“ ebenfalls einen Tick besser. Der Film ist motivisch überfrachtet, dem Regisseur geht das Gefühl fürs richtige Erzähltempo verloren. Die Atmosphäre bleibt etwas auf der Strecke. Dass sie nicht gänzlich in der Dunkelheit der Katakomben verschwindet, liegt an gelungenen Bildern und der Inszenierung der Begegnung mit den Kreaturen der Unterwelt. Die Schauwerte überzeugen zum Teil, haben allerdings nicht die Zeit, sich wirklich zu setzen. Regisseur Dowdle kann besser zeigen als erzählen, ohne Zweifel. Wenn es ums Erzählen geht, passt er sich dem unterirdischen Setting an. Der Regisseur schwimmt mit auf der Modewelle des Wackelkamera-Stils, was allerdings nicht so sehr negativ zu Buche schlägt. Verfügt doch jeder der Expeditionsteilnehmer über eine Helmkamera, was für die Inszenierung alle Freiheiten lässt. Wenn man das Gehirn etwas ausschaltet, dann kann man den Film durchaus genießen. Die Zeit vergeht tatsächlich wie im Höllenflug, was an besagtem und kritisiertem Erzähltempo liegt, und zur Ehrenrettung muss gesagt werden, dass sich „Katakomben“ im Vergleich mit der Masse an sonstigen Genrebeiträgen noch auf leicht überdurchschnittlichem Niveau bewegt. Aber es wäre mehr drin gewesen! 

Bewertung: (6/10)


Mittwoch, 29. Oktober 2014

Die junge Iris Berben als Außerirdische


„Supergirl – Das Mädchen von den Sternen“ (Deutschland 1971, Regie: Rudolf Thome)

Kritik: Da wird der Fan hellhörig: ein deutscher Film, ein später Neuer Deutscher Film, aus dem Jahr 1971 mit Iris Berben als Außerirdische, die die Welt vor einer Invasion von ihrem Heimatplaneten, dem 3. Planeten aus der Galaxie Alpha Centauri, warnen will. Doch ihr Raumschiff, eigentlich auf dem Weg nach Washington, stürzt ab. Über Deutschland, genauer: in der Nähe von München. Und sie ist die scheinbar einzige Überlebende, die nun versucht, irgendwie nach Washington zu kommen. An einer Hauptstraße steigt sie in das Auto eines Münchner Playboys. Sie macht mit der Münchner Literatenszene Bekanntschaft, lernt den Erfolgsautor Paul Evers (Marquard Blom, wunderbar!) kennen und einen amerikanischen Filmproduzenten. Der hat einen Bekannten mit Kontakten zum Weißen Haus in Washington. Diese Connection klingt für unsere Außerirdische vielversprechend. Ihre Hoffnung zerplatzt aber wie eine Seifenblase, denn natürlich glaubt ihr keiner. Und, so viel sei vorweggenommen, es gelingt ihr am Ende natürlich nicht, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu treffen, und es gelingt ihr nicht einmal, sich aus dem Dunstkreis der Münchner Schickeria zu entfernen. Sie verschwindet so unvermittelt und leise, wie sie erschienen ist. Der Zuschauer bleibt mit einem großen Fragezeichen zurück. Eigentlich ein klassischer phantastischer Film im Sinne der Todorovschen Definition von Phantastik. Was war es nun? Übersinnlich oder doch rational erklärbar?

Regisseur Rudolf Thome soll nach der Fernsehausstrahlung viele böse Anrufe bekommen haben von Zuschauern, die sich von ihm verschaukelt, wahrscheinlich um einen spannenden Außerirdischen-Film betrogen gefühlt haben. Und in der Tat ignoriert Thome von Anfang an auf nahezu provozierende Weise sowohl das phantastische Sujet als auch, ganz im Sinne einer der Prämissen des Neuen Deutschen Films, das Gebot der inszenatorischen und dramaturgischen Perfektion. Sein Film lebt von den Charakteren (allen voran Marquard Blom), Dialogen und Situationen. Narration und Handlung interessieren den Regisseur nur marginal (ebenso wie in seinen Filmen „Detektive“, 1968, und „Rote Sonne“, 1970). Alles wirkt irgendwie improvisiert und fehlerbehaftet. Eine durchdachte Mise-en-scene findet nicht statt, auffallend häufig agieren die Darsteller mit dem Rücken zur Kamera, „Fehler“ bleiben ungeschnitten (Blom stößt beim Verlassen eines Zimmers gegen die Tür, ein Glas auf dem Tisch steht an der falschen Stelle etc.). 

Marquard Blom spielt in seinem weißen Anzug, den er fast den ganzen Film über trägt, sichtlich unsicher, und wenn er sich quasi permanent an Alkohol und Zigaretten festhält, dann schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe: seine offensichtliche Unsicherheit wandelt sich etwas ins Coole, und durch seine Unperfektion und Authentizität entsteht beim Betrachter ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Ähnliches trifft für alle Darsteller und die ganze Inszenierung zu. Hier bewahrheitet sich eine Aussage des leider viel zu früh verstorbenen Filmkritikers Michael Althen, der im Rahmen einer Besprechung (eines ganz anderen Films) formulierte: „Das Schöne am Kino ist, dass manchmal schon die Art, wie jemand an seiner Zigarette zieht, genügt, um sich in einen Film zu verlieben. Oder wie einer einen Anzug trägt.“ Wer das nicht glaubt, sollte sich „Supergirl“ allein schon deswegen anschauen, um dazuzulernen. Überhaupt scheint Marquard Blom, wie in vielen seiner Filme, in anderen Sphären zu schweben, ein Bewohner des Planeten Sauf-und-Rauch, den das alles gar nicht wirklich betrifft. Ob die Kamera nun läuft oder nicht, ich rauche und saufe trotzdem. Rudolf Thome selbst sagt, dass Blom während der Dreharbeiten kaum zu disziplinieren war. Es ist das Verdienst von Bloms Schauspielkunst und Ausstrahlung, dass man als Zuschauer diesen großartigen Typen trotzdem nicht aus den Augen lassen mag, ihn ständig beobachtet und – auch nicht müde wird, es zu tun, selbst nach 90 Minuten noch nicht.

Die junge Iris Berben spielt in erster Linie sich selbst. Ein außerirdisch gut aussehendes super Girl. Aber das außerirdische Supergirl nimmt man ihr nicht ab. Vom Regisseur offenbar wenig angeleitet, spielt sie ständig gelangweilt an ihren Haaren herum, nicht so oft wie Blom an der Zigarette, aber dennoch: Eine extraterrestrische Weltenretterin verhält sich anders. Alles wirkt irgendwie unausgegoren und undurchdacht. Die Außerirdische kennt sich in der Kolonialgeschichte der Erde aus, beherrscht die Sprache perfekt, weiß wo Washington und Moskau liegen, aber muss erst Tanzen lernen. Und die Wellen am Meer bringen sie beinahe völlig aus der Fassung vor Begeisterung. Ihre stärkste Szene hat sie am Anfang des Films in einer langen Einstellung: In einen orangefarbenen Overall gekleidet (mit nichts drunter, wie wir erst erfahren und dann sehen dürfen, ja, Iris Berben zieht fast ganz blank in „Supergirl“), erst nur als Punkt am Horizont zu erkennen, geht sie langsam auf die Kamera zu und an ihr vorbei. Ihr staksiger Gang hat dabei in der Tat etwas Fremdartiges.

„Supergirl“ ist kein wirklich gelungener Alien-Film, obwohl er von der Story her das Zeug dazu gehabt hätte und es auch einige phantastische Aspekte gibt: die Nachricht von einer Ufo-Sichtung, die Verfolger und Kontaktpersonen vom fremden Planeten, die sich anscheinend in Luft auflösen können etc. Letztendlich ist „Supergirl“ ein Spätwerk des Neuen Deutschen Films (Rainer Werner Fassbinder hat einen Cameo-Auftritt), das Zeitgeist und Schickeria-Leben im München Anfang der 70er-Jahre widerspiegelt. Eine Zeit, in der, zumindest in gewissen Kreisen, offenbar permanent geraucht und gesoffen wurde. Der Film war übrigens praktisch schon im Verleih und an 200 Kinos vermietet. Doch dann las sich irgendwer doch noch einmal das Drehbuch durch, und es war vorbei mit dem Kinostart. Zu wenig phantastische Aspekte, viel zu normal. Später, als Thome eine Anfrage vom WDR bekam, einen Spielfilm zu drehen, erinnerte sich der Regisseur an das Drehbuch und kurbelte ihn zügig herunter. Das merkt man dem Film an, auch eine zeitweise Uninspiriertheit von Regisseur und Schauspielern (was wäre da alles möglich gewesen!), dennoch kann man sich dem Werk nicht entziehen, ihm eine gewisse Faszination nicht absprechen.

Bilder, die im Gedächtnis bleiben: Iris Berben im Overall, Iris Berben nackt, Marquardt Blom im weißen Anzug, Zigaretten, Alkohol, amerikanische Autos

Bewertung: 6/10