Niels Penke (Hg.): Der skandinavische Horrorfilm. Kultur- und ästhetikgeschichtliche Perspektiven, Bielefeld 2013
Zum ersten Mal wird hier der Versuch unternommen, einen Überblick über die Geschichte des skandinavischen Horrorfilms zu geben. Mit ein Grund dafür könnte der enorme Anstieg der skandinavischen Horrorfilmproduktion seit Mitte/Ende der 1990er-Jahre gewesen sein. Lars von Triers TV-Serie „Geister“ hat hier sicherlich Vorarbeit geleistet. Seit 2003 kam es zu einer gefühlten Explosion der Horrorfilmproduktion. Während in der Frühphase des Films in Skandinavien durchaus eine Reihe von Klassikern des Horrorgenres geschaffen wurden wie Victor Sjöströms „Der Fuhrmann des Todes“ (SW 1921), Benjamin Christensens „Häxan“ (SW 1922) oder Carl Theodor Dreyers „Vampyr“ (DK 1932), die Ausgangspunkt einer Tradition hätten werden können, folgten bis in die 1990er-Jahre hinein nur noch ein wenig mehr als ein Dutzend Filme dieses Genres. Darunter auch Ingmar Bergmans „Die Stunde des Wolfs“ (1968), ein Film, der zweifellos dem Genre des Horrorfilms zuzuordnen ist. Auch Bergmans „Das siebente Siegel“ (1957) mit dem personifizierten Tod und „Die Jungfrauenquelle“ (1959) können im weitesten Sinne dem Horrorgenre zugerechnet werden. Besonders Letzterer diente Wes Craven als Inspirationsquelle für seinen Exploitation-Horrorfilm „The Last House On The Left“ (1972).
In den letzten Jahren wurden wir aus Skandinavien dann mit so unterschiedlichen Filmen wie „Cold Prey“ (2006), „Frostbite“ (2006), „So finster die Nacht“ (2008), „Sauna“ (2008), „Antichrist“ (2009), „Reykjavik Whale Watching Massacre“ (2009), „Dead Snow“ (2009), „Trollhunter“ (2010) und anderen beliefert und unterhalten. Die meisten der bis jetzt erwähnten Filme sind Gegenstand der kultur- und ästhetikgeschichtlichen Untersuchungen in dem Buch. Unter anderem in komparatistischer Perspektive werden die skandinavischen Originale internationalen Horrorfilmen gegenübergestellt. So wird das Spezifische dänischer, norwegischer, schwedischer, finnischer und isländischer Filme (z.B. bezüglich der Rolle der Natur, Mythologie, nationaler und kultureller Besonderheiten etc.) herausgearbeitet. Marcus Stiglegger („Der ewige Schlaf. Über Vampyr von Carl Theodor Dreyer“) vergleicht in seinem Beitrag den Film „Vampyr“ unter filmästhetischen und inhaltlichen Gesichtspunkten mit internationalen Werken aus dem Horrorgenre, unter anderem mit Lucio Fulcis „Geisterstadt der Zombies“ (1980) oder den Werken Jean Rollins. Sehr gut gefallen hat mir auch der Aufsatz von Judith Wassiltschenko mit dem Titel „Globaler Kulturaustausch im Horrorgenre am Beispiel von 'Fritt Vilt' (Cold Prey, FS) und 'Reykjavik Whale Watching Massacre'.“ Weitere Beiträge beschäftigen sich u. a. mit der Figur des Todes in „Der Fuhrmann des Todes“, mit Ingmar Bergmans „Die Stunde des Wolfs“, Lars von Triers „Geister“ und „Antichrist“, der (De-)Konstruktion von Rollenbildern in schwedischen Vampirfilmen, mit dem Verhältnis von Räumlichkeit und Männlichkeitskonzepten im Film „Sauna“ und der Wiederkehr des Vergangenen in der Splatterkomödie „Dead Snow“. Petra Schrackmann wirft einen Blick auf das Phänomen der US-Remakes skandinavischer Horror- und Mysteryfilme. Das Buch als Ganzes gibt allgemein einen sehr guten Überblick über die Geschichte des skandinavischen Horrorfilms und ist somit für den interessierten deutschsprachigen Leser von einzigartigem Wert.
„Der skandinavische Horrorfilm“ ist
leider sehr schlecht lektoriert worden. Es ist eben keine gute Idee,
dem Herausgeber, selbst wenn er auch Germanistik studiert hat,
gleichzeitig das verantwortungsvolle Handwerk eines Lektors zu
übertragen. Das mag dem Verlag Geld sparen, ist der Sache aber nicht
dienlich. Fehler springen einen gefühlt auf jeder zweiten Seite an,
und der Lektor bzw. einige Autoren standen definitiv auf dem
Kriegsfuß mit der Kommasetzung. Hoffentlich sind die Fakten,
Jahreszahlen und Namensschreibweisen in dem Buch besser kontrolliert
worden! Im Beitrag von Anna-Marie Mamar („Die Figur des Todes in
Victor Sjöströms Körkarlen“) ist vergessen worden (?), die
schwedischen Zitate ins Deutsche zu übersetzen, was besonders schade
ist, da die Autorin ihre Argumentation oft mit besonders passenden
Zitaten zu untermauern scheint. Selbst im akademischen Milieu wird es
nicht gern gesehen, wenn „exotische“ Sprachen nicht übersetzt
werden (zumindest im Anmerkungsapparat sollte das geschehen), weil es
u. a. die Interdisziplinarität nicht fördert, aber in einem Buch,
das sich auch an allgemein am Horrorfilm interessierte Leser wendet
(das tut es doch?), ist das ein Ärgernis. Den Lese- und
Verstehensprozess ebenfalls nicht erleichtert hat die Tatsache, dass
nahezu sämtliche Autoren in ihren Aufsätzen durchgehend die
skandinavischen Originaltitel verwenden, während die deutschen Titel
sich entweder im Anmerkungsapparat verstecken oder nur einmal im Text
erwähnt werden. Nach unterbrochener Lektüre oder wenn man vor- und
zurückblättert, wird man hier immer mal wieder zum „Suchen“
gezwungen. Und unabhängig davon, wie man zur „Emanzipation“
steht, in einem Aufsatz folgende Sätze zu lesen, die nur vom Inhalt
ablenken, ist der wahre Horror, zumindest für einen im Leseverhalten
offensichtlich noch nicht zeitgemäß konditionierten und
sozialisierten männlichen Rezensenten: „Doch da diese Filme auch
von Nicht-NorwegerInnen bzw. Nicht-SkandinavierInnen gesehen werden,
dürften auch kommerzielle Erwägungen auf der ProduzentInnen-Seite
bestehen, ...“ (S. 197). Irgendwie konsequent ist es, wenn den
AutorInnen skandinavischer Texte in der deutschen Übersetzung die
gleiche „Innen“-Schreibweise aufgenötigt wird. Albern wird es,
wenn man (Neben-)Sätze liest wie „... einE anonymeR RezensentIn
nennt“ (S. 206, Großbuchstaben im Original!, FS). Trotz des nicht
ganz leserfreundlichen Lektorats bleibt das Buch für mich dennoch
eine klare Empfehlung.