Sonntag, 3. November 2013

Der skandinavische Horrorfilm. Kultur- und ästhetikgeschichtliche Perspektiven


Niels Penke (Hg.): Der skandinavische Horrorfilm. Kultur- und ästhetikgeschichtliche Perspektiven, Bielefeld 2013

Zum ersten Mal wird hier der Versuch unternommen, einen Überblick über die Geschichte des skandinavischen Horrorfilms zu geben. Mit ein Grund dafür könnte der enorme Anstieg der skandinavischen Horrorfilmproduktion seit Mitte/Ende der 1990er-Jahre gewesen sein. Lars von Triers TV-Serie „Geister“ hat hier sicherlich Vorarbeit geleistet. Seit 2003 kam es zu einer gefühlten Explosion der Horrorfilmproduktion. Während in der Frühphase des Films in Skandinavien durchaus eine Reihe von Klassikern des Horrorgenres geschaffen wurden wie Victor Sjöströms „Der Fuhrmann des Todes“ (SW 1921), Benjamin Christensens „Häxan“ (SW 1922) oder Carl Theodor Dreyers „Vampyr“ (DK 1932), die Ausgangspunkt einer Tradition hätten werden können, folgten bis in die 1990er-Jahre hinein nur noch ein wenig mehr als ein Dutzend Filme dieses Genres. Darunter auch Ingmar Bergmans „Die Stunde des Wolfs“ (1968), ein Film, der zweifellos dem Genre des Horrorfilms zuzuordnen ist. Auch Bergmans „Das siebente Siegel“ (1957) mit dem personifizierten Tod und „Die Jungfrauenquelle“ (1959) können im weitesten Sinne dem Horrorgenre zugerechnet werden. Besonders Letzterer diente Wes Craven als Inspirationsquelle für seinen Exploitation-Horrorfilm „The Last House On The Left“ (1972).

In den letzten Jahren wurden wir aus Skandinavien dann mit so unterschiedlichen Filmen wie „Cold Prey“ (2006), „Frostbite“ (2006), „So finster die Nacht“ (2008), „Sauna“ (2008), „Antichrist“ (2009), „Reykjavik Whale Watching Massacre“ (2009), „Dead Snow“ (2009), „Trollhunter“ (2010) und anderen beliefert und unterhalten. Die meisten der bis jetzt erwähnten Filme sind Gegenstand der kultur- und ästhetikgeschichtlichen Untersuchungen in dem Buch. Unter anderem in komparatistischer Perspektive werden die skandinavischen Originale internationalen Horrorfilmen gegenübergestellt. So wird das Spezifische dänischer, norwegischer, schwedischer, finnischer und isländischer Filme (z.B. bezüglich der Rolle der Natur, Mythologie, nationaler und kultureller Besonderheiten etc.) herausgearbeitet. Marcus Stiglegger („Der ewige Schlaf. Über Vampyr von Carl Theodor Dreyer“) vergleicht in seinem Beitrag den Film „Vampyr“ unter filmästhetischen und inhaltlichen Gesichtspunkten mit internationalen Werken aus dem Horrorgenre, unter anderem mit Lucio Fulcis „Geisterstadt der Zombies“ (1980) oder den Werken Jean Rollins. Sehr gut gefallen hat mir auch der Aufsatz von Judith Wassiltschenko mit dem Titel „Globaler Kulturaustausch im Horrorgenre am Beispiel von 'Fritt Vilt' (Cold Prey, FS) und 'Reykjavik Whale Watching Massacre'.“ Weitere Beiträge beschäftigen sich u. a. mit der Figur des Todes in „Der Fuhrmann des Todes“, mit Ingmar Bergmans „Die Stunde des Wolfs“, Lars von Triers „Geister“ und „Antichrist“, der (De-)Konstruktion von Rollenbildern in schwedischen Vampirfilmen, mit dem Verhältnis von Räumlichkeit und Männlichkeitskonzepten im Film „Sauna“ und der Wiederkehr des Vergangenen in der Splatterkomödie „Dead Snow“. Petra Schrackmann wirft einen Blick auf das Phänomen der US-Remakes skandinavischer Horror- und Mysteryfilme. Das Buch als Ganzes gibt allgemein einen sehr guten Überblick über die Geschichte des skandinavischen Horrorfilms und ist somit für den interessierten deutschsprachigen Leser von einzigartigem Wert.

„Der skandinavische Horrorfilm“ ist leider sehr schlecht lektoriert worden. Es ist eben keine gute Idee, dem Herausgeber, selbst wenn er auch Germanistik studiert hat, gleichzeitig das verantwortungsvolle Handwerk eines Lektors zu übertragen. Das mag dem Verlag Geld sparen, ist der Sache aber nicht dienlich. Fehler springen einen gefühlt auf jeder zweiten Seite an, und der Lektor bzw. einige Autoren standen definitiv auf dem Kriegsfuß mit der Kommasetzung. Hoffentlich sind die Fakten, Jahreszahlen und Namensschreibweisen in dem Buch besser kontrolliert worden! Im Beitrag von Anna-Marie Mamar („Die Figur des Todes in Victor Sjöströms Körkarlen“) ist vergessen worden (?), die schwedischen Zitate ins Deutsche zu übersetzen, was besonders schade ist, da die Autorin ihre Argumentation oft mit besonders passenden Zitaten zu untermauern scheint. Selbst im akademischen Milieu wird es nicht gern gesehen, wenn „exotische“ Sprachen nicht übersetzt werden (zumindest im Anmerkungsapparat sollte das geschehen), weil es u. a. die Interdisziplinarität nicht fördert, aber in einem Buch, das sich auch an allgemein am Horrorfilm interessierte Leser wendet (das tut es doch?), ist das ein Ärgernis. Den Lese- und Verstehensprozess ebenfalls nicht erleichtert hat die Tatsache, dass nahezu sämtliche Autoren in ihren Aufsätzen durchgehend die skandinavischen Originaltitel verwenden, während die deutschen Titel sich entweder im Anmerkungsapparat verstecken oder nur einmal im Text erwähnt werden. Nach unterbrochener Lektüre oder wenn man vor- und zurückblättert, wird man hier immer mal wieder zum „Suchen“ gezwungen. Und unabhängig davon, wie man zur „Emanzipation“ steht, in einem Aufsatz folgende Sätze zu lesen, die nur vom Inhalt ablenken, ist der wahre Horror, zumindest für einen im Leseverhalten offensichtlich noch nicht zeitgemäß konditionierten und sozialisierten männlichen Rezensenten: „Doch da diese Filme auch von Nicht-NorwegerInnen bzw. Nicht-SkandinavierInnen gesehen werden, dürften auch kommerzielle Erwägungen auf der ProduzentInnen-Seite bestehen, ...“ (S. 197). Irgendwie konsequent ist es, wenn den AutorInnen skandinavischer Texte in der deutschen Übersetzung die gleiche „Innen“-Schreibweise aufgenötigt wird. Albern wird es, wenn man (Neben-)Sätze liest wie „... einE anonymeR RezensentIn nennt“ (S. 206, Großbuchstaben im Original!, FS). Trotz des nicht ganz leserfreundlichen Lektorats bleibt das Buch für mich dennoch eine klare Empfehlung.