Die hässlichen Schwäne (OT: Gadkie
Lebedi, Russland/Frankreich 2006, Regie: Konstantin Lopuschanskij, OmU)
Handlung: Victor Banev ist ein in den
USA lebender russischer Schriftsteller. Als Mitglied einer
UN-Kommission begibt er sich auf die Reise nach Taschlinsk, einer
isolierten Stadt, die extremen Klimaveränderungen ausgesetzt ist und
in der „Mutanten“ leben, die sogenannten Nassen (Mokretsy). Dort sucht
er seine Tochter. Er findet sie in einem Internat für hochbegabte
Kinder, das von den Nassen geleitet wird. Er möchte sie mit sich
nehmen und aus der Stadt bringen, denn alles deutet daraufhin, dass
die Regierung die Stadt der Nassen auslöschen will. Doch sie will
nicht mit ihm kommen...
Kritik: Ebenso wie Andrej Tarkovskijs „Stalker“ (1979) ist auch der Film „Die hässlichen Schwäne“ eine Verfilmung eines Romans der Brüder Strugazkij. Die Brüder Arkadij und Boris Strugazkij sind die bekanntesten Vertreter der sowjetischen Phantastik. In ihren nicht selten mit Märchenmotiven gespickten Science-Fiction-Romanen (in der Sowjetunion nannte man die Science-Fiction „wissenschaftliche Phantastik“, naucnaja fantastika) geht es neben Bürokratie- und Alltagskritik nicht selten darum, wie Menschen in Anbetracht unvorhergesehener oder rätselhafter Ereignisse und Konstellationen reagieren. Das war in „Stalker“ so, der auf dem Roman „Picknick am Wegesrand“ beruht, und das ist auch in „Die hässlichen Schwäne“ so.
Regisseur Konstantin Lopuschanskij war
einst Regieassistent bei dem großen Filmemacher Andrej Tarkovskij,
und das merkt man dem Film in vielen Einstellungen an.
Lopuschanskij lässt sich Zeit beim Erzählen seines Themas, er lässt
seine Darsteller in aller Ausführlichkeit philosophische Dialoge
führen und er zeigt in langen Einstellungen poetische Bilder einer scheinbar untergehenden Welt. Diese Welt, die Stadt Taschlinsk, ist durch
Klimaanomalien in Infrarotlicht getaucht, es regnet dort ständig,
und wenn man in einem neu eröffneten Restaurant speisen will, sitzt
man bis zu den Knien im Wasser.
Lopuschanskij zeigt uns diese Welt in
faszinierenden Aufnahmen. Der Regen ist nicht nur auf der visuellen
Ebene dauerpräsent, sondern auch als fast permanentes
Hintergrundgeräusch. Die außerirdisch anmutenden Nassen leben hier,
sie sind entstellt und tragen Umhänge. Und sie unterrichten die
Kinder der Menschen, bringen ihnen das Denken bei, das zu
Erkenntnissen führt, die die Kinder von ihren Eltern entfremden. Und
auch vom Zuschauer. Denn als Victor Banev vor einer Schulklasse steht
und mit den Kindern eine Diskussion über das Ende der Menschheit führt, argumentieren die Kinder in einer fast robotermäßigen
Sachlichkeit, sodass sie kalt, emotionslos und bedrohlich wirken,
bedrohlich wie die blonden „außerirdischen“ Kinder in „Das
Dorf der Verdammten“ (1960). Haben die Kinder recht, steht die
Menschheit vor dem Untergang, oder stellt sich der Zuschauer auf die
Seite von Victor Banev, der die Menschen verteidigt, von Liebe und
Emotionen spricht?
Der Film macht es dem Zuschauer nicht
leicht, sich auf eine Seite zu schlagen, aber einfache Antworten
haben auch die Brüder Strugazkij in ihren Werken nie gegeben. Fest
steht, dass sich die Regierung und das Militär von den Nassen
zunehmend provoziert fühlen, Unsicherheit schlägt um in stereotypen Aktionismus. „Wer die Kinder lenkt, der lenkt die Zukunft, dazu
brauchen sie die Kinder“, erkennt in einem frühen Stadium des
Films ein Wissenschaftler. „Klimaanomalien müssen normalisiert
werden“, sagen die gemäßigteren Vertreter, das Militär
spricht von den Nassen zunehmend als „Feinde, die uns den Krieg
erklärt haben“. Eine Invasion stehe bevor, man entschließt
sich daher zu einem C-Waffen-Krieg. Den Nassen wird die Evakuierung
verweigert, da diese offiziell als kranke Menschen gelten. Ob dem so
ist und woher sie eigentlich kamen, lässt der Film offen. Victor Banev will
seine Tochter unbedingt noch vor dem Angriff aus der Stadt bringen,
doch diese weigert sich ebenso wie die anderen Kinder, die nicht mehr
in die alte, sterbende, korrupte Welt mit ihrer falschen Moral
zurückkehren wollen. Letztendlich kommt es doch noch zu einer
Rettung, einer Rettung, die sich aber für die geistige Entwicklung
der Kinder als fatal erweist.
„Die hässlichen Schwäne“ ist ein
poetischer, ein philosophischer Film, der spannend inszeniert ist und
die Schwächen von Menschen und deren immer wieder gleiche, stereotype Reaktionen auf „Anomalien“ aufs Korn nimmt. Er stellt viele Fragen,
unter anderem die nach dem geistigen und spirituellen Potenzial des
Menschen. Science-Fiction-Fans sollten sich den Film nicht entgehen
lassen. Exzellente Schauspieler, tolle Dialoge, beeindruckende Kulissen und famose
Bilder machen „Die hässlichen Schwäne“ zu einem
einzigartigen Filmerlebnis der ruhigeren Sorte. Wer die Art der Inszenierung von Tarkovskijs Filmen „Stalker“ und „Solaris“ (1972) mochte, wird auch diesen Film mögen. „Die hässlichen Schwäne“ ist mit russischem Originalton, deutsche
Untertitel lassen sich einblenden. Davon sollte man sich jedoch nicht
abschrecken lassen. OmU zu schauen ist sowieso oft besser, als sich schlechte Synchros anzutun.
Bilder, die im Gedächtnis bleiben:
überschwemmtes Restaurant // die Nassen // die in Infrarotlicht
getauchte Stadt Taschlinsk // schwebendes Kind
Bewertung: (9/10)