Montag, 26. November 2018

Tuberkulosegeister vs. YouTuberkuloser


Alle Rechte an Fotos und Grafiken bei © 20th Century Fox


Heilstätten (Deutschland 2018, Regie: Michael David Pate)

Deutsche YouTuber halten in den Heilstätten, einem finsteren Ort in der Nähe von Berlin, eine Challenge ab, in der sie u.a. dem vermeintlichen Spuk in den Krankenhausruinen auf den Grund gehen wollen. Man entscheidet sich, dort 24 Stunden zu verbringen. Wer, vor Angst, als Erster ein Bengalofeuer zündet, hat verloren und muss, ernsthaft, einen Monat lang das essen, was die YouTuber-Gemeinde wünscht. Ja, was der Jugend halt so Spaß macht. Friss, oder stirb vor Angst. 

Mit Nachtsicht- und Wärmekameras ausgerüstet, machen sich die Jugendlichen auf den Weg in die düsteren Hallen des heruntergekommenen Gebäudekomplexes, in dem zur Nazizeit furchtbare Experimente an Tuberkulosepatienten durchgeführt worden sind. Die Ausgangssituation dieses im Found-Footage-Stil (Wackelkamera) gedrehten deutschen Horrofilms ist ähnlich wie die im Jahr 2011 erschienenen GRAVE ENCOUNTERS. Dort ist es ein Fernsehteam, das sich über Nacht in eine verlassene Psychiatrieklinik einsperren lässt, um den Gerüchten über ungeklärte paranormale Phänomene nachzugehen. Natürlich gehen hier wie dort tatsächlich böse Gestalten um. Nach ersten schrecklichen Visionen geben die ersten noch im siebten Klickhimmel schwebenden YouTuber recht bald den Löffel ab. Ein Entkommen scheint unmöglich, das übliche Zehn-kleine-Negerlein-Spiel scheint seinen Anfang zu nehmen. 

Gegenüber seinem Film KARTOFFELSALAT – NICHT FRAGEN! (2015) hat sich Regisseur Michael David Pate rasant gesteigert. Doch das ist keine große Kunst. Ist KARTOFFELSALAT doch eher ein Kandidat für sämtliche Goldenen Himbeeren und Ed-Wood-Gedächtnismünzen dieser Kinowelt. Bei der Internetplattform IMDb erhielt er eine Durchschnittswertung von 1,3 von 10! HEILSTÄTTEN bringt es dort immerhin auf den Wert von 4,3. Dieser deutsche Genrebeitrag ist ein weiterer netter Versuch, der aber an die Qualität des vergleichbaren, ebenfalls nicht überragenden GRAVE ENCOUNTERS nicht ganz heranreicht. Trotz eines ganz ordentlichen Drehbuchs mit einem moralischen Twist am Ende verlangt der Film vom Zuschauer doch eine Menge Geduld und Wohlwollen. 

Die am Anfang besonders nervenden Darsteller, die ständig „Alder“ und „Digga“ dahernuscheln und eine Hektik und Aufgeregtheit verbreiten, die eigentlich nur noch von den Werbespots im Kinderkanal getoppt wird, machen einem den Einstieg schwer. Aber wer mal ins echte YouTube hineinschaut und entsprechende Kanäle von unter 20-Jährigen begutachtet, wird feststellen, dass die Realität hier nicht weit vom Filmgeschehen abweicht. Das anfänglich hyperaktive Generve kann man dem Film also nicht wirklich vorwerfen. 

Bei der Inszenierung des Geschehens in den spukenden Heilstätten jedoch wäre mehr möglich gewesen. Der übertriebene Einsatz der Wackelkameras in Dunkelheit macht es bisweilen anstrengend, die Ereignisse zu überblicken. Man weiß manchmal nicht genau, wer gerade in welches Loch gefallen ist und wer sich grade nur den Fuß verknickst oder den Hals gebrochen hat. Hier wünschte man sich, dass es auch beim Regisseur etwas häufiger „klick“ gemacht hätte. Die statischen Kameras, die ja von den YouTubern auch aufgebaut wurden, hätte man noch geschickter einbeziehen können. Hier und da ein Tempowechsel hätte dem Film gutgetan, ebenso etwas mehr (ruhige) Atmosphäre statt Aktion, ein kreatives Spiel mit Vorder- und Hintergrund etc. 

Wie viele Low-Budget-Horrorfilme krankt auch dieser an der fast nicht vorhandenen Figurenentwicklung. Es gibt niemand, mit dem man sich identifiziert, also auch niemand, mit dem man mitzittert. Im Gegenteil, so viel Dummheit, Oberflächlichkeit, Verlogenheit und das Gieren nach Klickzahlen, das schreit nahezu nach Bestrafung. Wenn einem das Schicksal der handelnden Figuren schon egal ist, sollte wenigstens etwas fürs Auge geboten werden. Gruselige Szenen, unheimliche Geister, böse Fallen. Doch auch in dieser Beziehung ist HEILSTÄTTEN allenfalls Durchschnitt, und man denkt ständig daran, was in dieser tollen Location noch möglich gewesen wäre. 

Die zum Teil ganz ordentlichen Darstellerleistungen und die wirklich Angst einflößende und Grauen ausstrahlende Location sorgen dafür, dass der Film dennoch kein Reinfall ist. Zum Cast gehören u.a. Nilam Farooq (SOKO LEIPZIG, MEIN BLIND DATE MIT DEM LEBEN) und Sonja Gerhardt (JACK THE RIPPER – EINE FRAU JAGT EINEN MÖRDER, KU'DAMM 56). Und sympathisch, also richtig sympathisch ist die medienkritische Botschaft von HEILSTÄTTEN.

Wer Filme wie BLAIR WITCH PROJECT (1999) oder GRAVE ENCOUNTERS liebt, dürfte auch von HEILSTÄTTEN nicht enttäuscht werden. Er bleibt, wenn man sich drauf einlässt, trotz flacher Figurenzeichnung, bis zum Ende recht spannend. Von meiner Meinung nach wirklich guten Found-Footage-Filmen wie TROLLHUNTER (2010) oder REC (2007) ist er jedoch noch weit entfernt. Dem schwachbrüstigen deutschen Genrefilm haucht dieser Kampf zwischen Tuberkulosegeistern und YouTuberkulosern (aua!) zwar keine frische Luft ein. Doch der Fan deutscher Filmkunst freut sich ja schon über jeden Versuch, der zeigt, dass einheimische Genreproduktionen durchaus mit denen anderer Länder mithalten können. Und sei es nur mit den durchschnittlichen. 

Bilder, die im Gedächtnis bleiben: blutüberströmte Frau in Badewanne // appe Nase // Motte aus dem Mund

Bewertung: (5/10)